Wie sie aus der mentalen Erschöpfung kommen und unabhängig von anderen wieder zu innerer Stärke finden
In vielen Unternehmen begegnen wir Menschen, die außergewöhnlich leistungsstark auftreten. Sie wirken souverän, übernehmen Verantwortung und liefern konstant hohe Qualität. Doch hinter dieser starken Fassade kann sich auch eine verletzliche Seite verbergen: tiefsitzende Selbstzweifel, ein ständiges Bedürfnis nach Anerkennung und die permanente Angst, nicht genug zu sein. Der McKinsey-Berater Matias Dalsgaard prägte für diese Persönlichkeitsstruktur den Begriff „insecure overachiever“ – auf gut deutsch „unsichere Überleister“.
Diese Menschen definieren ihren Selbstwert stark über Leistung und äußere Bestätigung. Sie brauchen regelmäßiges Feedback von den Personen, die ihnen wichtig erscheinen, wie zum Beispiel Führungskräften, Experten oder anderen, die in ihrem System eine besondere Bedeutung haben. Bleibt diese Resonanz aus, geraten sie innerlich schnell aus dem Gleichgewicht und steigern ihre Bemühungen noch weiter, bis zur mentalen Erschöpfung, die viele dieser „Überleister“ früher oder später treffen kann.
Wenn der Applaus von außen zur Erschöpfung führt
Insecure overachiever leben in einem Zustand ständiger innerer Anspannung. Kritik trifft sie tief hart, Pausen fühlen sich riskant an und das Gefühl, ständig „mehr“ leisten zu müssen, begleitet sie durch den Tag. Es gibt kaum Raum für Regeneration.
Die Folgen dieser inneren Dynamik zeigen sich oft schleichend:
- zunehmende mentale Erschöpfung
- Grübelschleifen und Selbstzweifel
- Schlafprobleme und Abschalt-Schwierigkeiten
- Verlust von Freude und Leichtigkeit
Viele bemerken erst spät, dass sie sich über die eigenen Grenzen bewegen und suchen erst Hilfe, wenn die mentale Erschöpfung bereits tiefgreifend geworden ist.
Warum Unternehmen diesen Persönlichkeitstyp schätzen
Paradoxerweise werden insecure Overachiever in vielen Organisationen bewusst oder unbewusst gefördert. Auf den ersten Blick scheinen sie ideal, denn sie sind:
- außerordentlich engagiert
- extrem belastbar
- anpassungsfähig und loyal
- bereit, sich hohen Erwartungen anzupassen
Doch genau diese Aspekte bergen ein Risiko, wenn sie mit einem instabilen inneren Selbstwert verbunden sind. Sobald sich der Kontext verändert, etwa durch neue Führungskräfte, Umstrukturierungen oder ausbleibende Anerkennung, kann dieser Mensch tief fallen. Die Identität ist so eng an äußere Rückmeldungen geknüpft, dass schon kleine Erschütterungen eine Krise auslösen.
Unsichere Überleister sind es gewohnt, in Vorleistung zu gehen: Sie wollen Erwartungen erfüllen, Fehler vermeiden und dazugehören. Allerdings nur zu einem Kreis, den sie als „wertvoll“ empfinden. Dieser Drang entsteht oft schon in der Schulzeit, in der gute Noten endlich zur dringend ersehnten Anerkennung durch die Eltern sorgten und sich so zur Grundlage ihres Selbstwerts entwickelten.
Mit zunehmender Reife spüren viele jedoch eine Diskrepanz zwischen den Erwartungen ihres Umfelds und den eigenen Werten. Manche bleiben aus Angst oder Abhängigkeit in Strukturen, die ihnen nicht guttun. Andere wiederum erleben eine stille Form des Ausstiegs – das, was heute als „Quiet Quitting“ bezeichnet wird.
Viele dieser Menschen suchen im Coaching nach mehr innerer Freiheit. Nicht, weil sie weniger leisten möchten, sondern weil sie nicht länger ausschließlich durch äußere Erwartungen definiert werden wollen.
Der Wendepunkt: Wenn Menschen ihr Muster erkennen
Der entscheidende Moment entsteht, wenn Menschen beginnen, ihre innere Dynamik zu verstehen. Sie erkennen, dass ihr Selbstwert kaum von innen kommt und dass ihr Leben stark durch die Erwartungen anderer geprägt wurde. Diese Einsicht ermöglicht einen Perspektivwechsel: Feedback wird differenzierter betrachtet, und nicht mehr jede Rückmeldung erhält dieselbe Bedeutung.
Dies markiert den Anfang eines Reifungsprozesses, in dem Menschen lernen, ihre eigenen Werte zu definieren und Prioritäten zu setzen. Dieser Schritt ist nicht nur entlastend, sondern auch ein wichtiger Schutzfaktor gegen mentale Erschöpfung und Burnout.
Der Impostor-Effekt als zusätzlicher Stressverstärker
Viele insecure overachiever kennen zudem das Impostor-Gefühl: die Vorstellung, den Erwartungen nicht wirklich zu entsprechen und irgendwann „aufzufliegen“. Dieser innere Druck verstärkt den Stress enorm und verhindert, dass Erfolge wirklich angenommen und gespürt werden. Die mentale Belastung steigt, und der Kreislauf aus Überanstrengung und Selbstzweifel dreht sich weiter.
Wie innere Unabhängigkeit zur mentalen Stärke führt
Mentale Erschöpfung entsteht nicht allein durch anspruchsvolle Arbeit, sondern vor allem durch fehlende innere Selbstbestimmung. Der Weg aus der Erschöpfung führt daher weniger über äußere Veränderungen, sondern über innere Klarheit:
- Was ist mir wirklich wichtig?
- Wessen Erwartungen erfülle ich gerade?
- Welches Feedback lasse ich an mich heran – und welches nicht?
- Was bleibt von meinem Selbstwert, wenn die Anerkennung von außen ausbleibt?
Wer lernt, diese Fragen ehrlich zu beantworten, entwickelt eine innere Stabilität, die unabhängig von äußeren Bewertungen trägt. Das ist der Schlüssel zu einer gesunden, nachhaltigen Leistungsfähigkeit.
Fazit: Die Befreiung aus dem Muster ist möglich
Insecure Overachiever sind oft brillante, motivierte und hochverantwortliche Menschen. Doch das Muster, das sie erfolgreich macht, kann sie zugleich in tiefe mentale Erschöpfung führen. Die gute Nachricht: Sobald dieses Muster erkannt wird, lässt es sich verändern. Mit mehr Selbstführung, innerer Klarheit und einem echten, nicht leistungsabhängigen Selbstwert entsteht eine neue Form der Stärke. Eine Stärke, die nicht nur von äußeren Bewertungen abhängt, sondern aus dem eigenen Kern kommt.
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