Oder: Was wir von Norwegen lernen können
Teilzeitmodelle wie die Vier-Tage-Woche werden heiß diskutiert – die Praxis sieht aber ganz anders aus. Statt Vier-Tage-Woche sind Überstunden angesagt. Dabei würde eine Vier-Tage-Woche nicht nur die Work-Life-Balance verbessern, sie führt auch zu Produktivitätssteigerungen, wie das Beispiel einer norwegischen Molkerei zeigt.
Teilzeitmodelle: Viel Lärm um nichts?
Überall wird über die neue Arbeitswelt gesprochen. Mehr Freiheit in der Arbeitsgestaltung, Home-Office, flexible Teilzeitzeitmodelle, lebenslanges Lernen, Kollaboration und Persönlichkeitswachstum… die Arbeit von morgen verspricht für viele ein höheres Maß an Selbstbestimmtheit, an Entscheidungs- und Handlungsfreiheit.
Aber wie sieht es abseits dieser Visionen aus? Im echten Leben bestimmt nach wie vor das Vollzeitmodell unser Bewusstsein. Wer heute nach der 35-Stunden-Woche ruft, gilt als Ewiggestriger. Schließlich ist Frankreich gerade dabei, dieses Modell abzuschaffen. Nach einer Vier-Tage-Woche zu fragen, traut man sich erst gar nicht. Längere Arbeitsstunden – Präsenz, so viel ackern wie möglich – gelten als Erfolgsrezept, wo demographischer Wandel und Fachkräftemangel, intensiverer Wettbewerb und Lohndruck den Druck erhöhen.
Vorurteile gegenüber Teilzeitkräften
Entsprechend schwer haben es Teilzeitmodelle. Nach wie vor genießen Teilzeitkräfte einen ganz anderen Status als Vollzeitmitarbeiter. Bei vielen Arbeitgebern ist das Teilzeitmodell mit enormen Vorurteilen behaftet. Angeblich sind Teilzeitkräfte weniger motiviert, produktiv und teamfähig als diejenigen, die Vollzeit anwesend sind. Umso schöner ist es, wenn Beispiele zeigen: Es geht auch anders! Umdenken lohnt sich! Denn genau das tun viele Firmen inzwischen… Sie wagen das Experiment, wo andere nur die Zügel anziehen. Spannend daran: wo solche Experimente mit neuen Arbeitsformen glücken, stehen Unternehmen häufig viel besser da als vorher.
Ein beeindruckendes Beispiel
Es trägt den schönen Namen Tine. So heißt eine norwegische Großmolkerei. Anstatt die Arbeitszeit zu erhöhen, sind die Verantwortlichen dort den entgegengesetzten Weg gegangen. Ihre mutige Entscheidung: „Wir wollen unser bisheriges Pensum beibehalten – aber anstatt in 40 wollen wir es in 30 Stunden erreichen! Und unsere Mitarbeiter bezahlen wir trotzdem genau so wie vorher!“ Nun denkt man erst einmal: „Das kann doch nicht sein. Wie soll das gehen? Gleichgutes Ergebnis, wenn alle weniger arbeiten?!“ Tatsächlich war die Firma ein Risiko eingegangen. Denn sie setzte darauf, dass die Mitarbeiter ihre verkürzte Arbeitszeit durch einen Produktivitätszuwachs von 20 Prozent ausgleichen würden. Das erstaunliche Ergebnis: Die Produktivität bei Tine wuchs nicht nur um ein Fünftel, sondern um ganze 50 Prozent! Die kürzere Arbeitszeit der Mitarbeiter führte also zu einem viel besseren Arbeitsergebnis als zur Zeit der klassischen Vollzeitbeschäftigung. Forscher sagen, dass die Molkerei damit durchaus beispielhaft ist. Denn wer weniger arbeitet, ist laut zahlreichen Studienergebnissen meist produktiver, kreativer und vor allem motivierter als diejenigen, die 40 Stunden und mehr pro Woche am Arbeitsplatz zubringen. Vielen gilt die Vier-Tage-Woche gar als Modell der Zukunft, das hohe Produktivität mit Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben zusammenbringt.
Weniger ist mehr
Mit Grund, denn: Wer seine Leute weniger arbeiten lässt, schlägt mehrere Fliegen mit einer Klappe. Nicht nur die Attraktivität als Arbeitgeber wächst. Die Mitarbeiter sind auch motivierter – schließlich sendet man als Arbeitgeber ein großes Zeichen des Vertrauens, wenn jedem überlassen bleibt, sein Pensum in weniger Präsenzzeit zu absolvieren. Hinzu kommt: Es ist auch schlicht nachhaltiger, die eigenen Mitarbeiter weniger Stunden arbeiten zu lassen als bislang. Das ermöglicht dem Einzelnen ein ausgeglicheneres Leben – und bringt dem Arbeitgeber körperlich und seelisch gesündere Mitarbeiter.
Also: Lassen Sie sich ruhig mal von norwegischen Molkerein inspirieren! Vielleicht müssen wir die Zügel gar nicht immer weiter anziehen, um erfolgreicher zu sein als bislang.